6.1.2 Interview
Artikel Methoden und Techniken
Als Interview wird die mündliche Befragung einer Person bezeichnet. Es dient der zweckgerichteten Informationsgewinnung durch gezielte Fragen und bildet damit eine Grundform der Erhebungstechniken.
6.1.2.1 Einsatzbereiche
Das Interview findet als Standard-Erhebungstechnik nahezu in allen Bereichen und Phasen von Organisationsuntersuchungen Anwendung. Im Rahmen der
- Voruntersuchung zum Kennen lernen und Eingrenzen des Untersuchungsbereichs,
- Hauptuntersuchung (Ist-Erhebung) als Instrument zur Informationsbeschaffung [1] , vorwiegend zur Erhebung von Aufgaben und Arbeitsabläufen, aber auch zur Klärung von Ergebnissen.,
- Soll-Konzeption beispielsweise bei Qualitätszirkeln oder Befragungen zur Aufgabenkritik.
Das Interview kann in der Hauptuntersuchung ergänzend zu den Erhebungstechniken Multimomentaufnahme, Laufzettelverfahren, schriftliche Befragung mittels Fragebogen, Zeitaufnahme oder Selbstaufschreibung eingesetzt werden. Beim Analytischen Schätzen ist das Interview zentraler Punkt der Datenerhebung.
6.1.2.2 Verfahrensbeschreibung
1. Vorbereitung
1a. Ziel, Inhalt und Teilnehmerkreis
Vor Beginn eines Interviews ist es wichtig, das Ziel genau zu definieren und damit den erforderlichen Informationsbedarf festzustellen. Dazu gehört die Abgrenzung des zu befragenden Personenkreises. Zudem muss bestimmt werden, ob Einzel- oder Gruppeninterviews (Workshop) durchgeführt werden sollen. Ein Gruppeninterview ist dann sinnvoll, wenn mehrere ähnliche oder gleiche Arbeitsplätze untersucht oder Prozesse mit verschiedenen Beteiligten betrachtet werden sollen. Gruppeninterviews reduzieren die Erhebungszeit sowie die Vor- und Nachbereitungszeit. Zu beachten ist bei der Durchführung eines Gruppeninterviews, dass die Befragten ihre Antworten bewusst oder unbewusst gegenseitig beeinflussen. Insbesondere bei der Beteiligung verschiedener hierarchischer Ebenen entsteht oftmals eine Barriere für offene Meinungsäußerungen.
1b. Ort, Zeit und Dauer
Es ist hilfreich, wenn Interviews in einer den zu Befragenden vertrauten Umgebung stattfinden. Empfehlenswert ist es daher, Interviews am jeweiligen Arbeitsplatz durchzuführen. Dies ermöglicht auch zusätzliche Beobachtungen (beispielsweise der Arbeitsmittel) parallel zum Interview sowie den unmittelbaren Zugriff auf Arbeitsunterlagen oder IT-Fachanwendungen. Die Durchführung des Interviews am Arbeitsplatz ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Arbeitsumgebung möglichst ruhig beziehungsweise ungestört ist. Sofern sich der Arbeitsplatz in einem von mehreren Personen genutzten Büro befindet oder es sich um ein Durchgangszimmer handelt, sollte das Interview an einem anderen Ort stattfinden. Auch Zeitpunkt und Dauer des Interviews sind nicht unerheblich für dessen Erfolg. Die Interviewtermine sollten Leistungsspitzen der Beteiligten berücksichtigen und daher in der Regel die Mittagszeit ausschließen. Termine sollten mit den zu Befragenden abgestimmt werden. Bei der Vorbereitung von Interviews ist die Gesprächsdauer grob abzuschätzen und den Befragten mitzuteilen. Mit Rücksicht auf die Konzentrationsfähigkeit aller Beteiligten sollte ein Interview möglichst nicht länger als zwei Stunden dauern und eventuell kurze Pausen enthalten. Ist ein höherer Zeitaufwand erforderlich, kann das Interview auf mehrere Termine verteilt werden.
1c. Festlegen der Interviewform
Unterschieden werden können drei Interviewformen, die in Abhängigkeit vom Ziel des Interviews eingesetzt werden:
- Freies Interview zur Erhebung grober Daten und zur Schaffung eines Überblicks: Die Interviewer sind hinsichtlich der Struktur und des Ablaufs des Interviews frei. Sie richten ihre Fragen an den Untersuchungszielen aus und verfolgen diese durch Reaktion auf die Antworten der befragten Person (beispielsweise durch Nachfragen) und durch Anpassung an den Gedankengang der Befragten. Eine Vorbereitung der Fragen findet nicht statt. Lediglich ein grober Gesprächsleitfaden wird vorbereitet, der als Gedankenstütze dient.
Das freie Interview ist vor allem dann geeignet, wenn brisante oder subjektive Einschätzungen/Hintergrundinformationen (beispielsweise Kritik oder Optimierungspotenziale) erhoben werden sollen. Ferner findet das freie Interview Anwendung, wenn über den Untersuchungsbereich noch wenige Informationen vorliegen und deshalb viele Informationen erfragt werden sollen. Dies ist insbesondere in der Voruntersuchung der Fall.
Vorteile | Nachteile |
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- Standardisiertes Interview zur Erhebung detaillierter Daten: Das standardisierte Interview folgt in seinem Verlauf einem festen Fragenkatalog, der im Vorfeld des Gesprächs entwickelt wird. Er enthält alle für die Erreichung des Interviewziels notwendigen Fragen, von denen im Gespräch auch zu keinem Zeitpunkt abgewichen wird. Es bietet sich an, diese Form der Interviewführung zu wählen, wenn das Vorhandensein bestimmter Informationen schon im Voraus vermutet wird. Diese Interviewform ist daher vorwiegend zur Erhebung von quantitativen Daten zu empfehlen.
Vorteile | Nachteile |
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- Halb-standardisiertes Interview für die Aufgabenerhebung und Vertiefung bereits gewonnener Informationen:
Das halb-standardisierte Interview stellt die Mischform zwischen dem freien und dem standardisiertem Interview dar. Für die Durchführung des Interviews wird vorbereitend ein Fragengerüst (Interviewleitfaden) aufgestellt, von dem im Gespräch situativ abgewichen werden kann. Der Leitfaden soll lediglich sicherstellen, dass alle wichtigen Aspekte angesprochen werden. Reihenfolge und Formulierung der Fragen bleibt jedoch den Interviewern überlassen. Damit kann flexibel auf die Auskunftsbereitschaft der Befragten und auf den Gesprächsverlauf reagiert werden. Neue Informationen, die aus dem Interview gewonnen werden, können noch während des Gesprächs vertieft und verfolgt werden. Der Erhebungsaufwand ist im Gegensatz zum freien Interview verhältnismäßig gering und die Auswertung der Interviewergebnisse ist durch die vorgegebenen Gesprächsteile zumindest teilweise standardisierbar. Das halb-standardisierte Interview ist die bei Organisationsuntersuchungen am häufigsten verwandte Interviewform und wird insbesondere zur Aufgabenerhebung eingesetzt.
Ein weiterer bedeutender Aspekt bei der Vorbereitung eines Interviews ist die Auswahl der Gesprächsstrategie. Die Atmosphäre im Interview kann insbesondere auf der Seite der Befragten durch Emotionalisierung, Gespanntheit und auch Ablehnung gekennzeichnet sein. Dementsprechend ist es für die Interviewer besonders wichtig, neben dem Ziel der Informationsgewinnung auch die emotionale Beziehungsebene während des gesamten Interviews zu berücksichtigen. Ein weiterer Erfolgsfaktor für das Interview ist die Formulierung der Fragen.
Grundsätzlich sollten Fragen:
- eindeutig sein,
- kurz sein,
- nicht verschachtelt sein, das heißt mehrere Unterfragen enthalten,
- verständlich sein,
- ergebnisoffen sein, das heißt alle möglichen Antwortalternativen berücksichtigen,
- tatsächlich zu beantworten sein und
- zweckmäßig in der Reihenfolge sein.
Des Weiteren sind verschiedene Frageformen denkbar, die in Abhängigkeit zum Interviewziel ausgewählt werden müssen:
- Offene Fragen:
Offene Fragen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie keine festen Antwortkategorien vorgeben. Sie ermöglichen eine Gewinnung umfangreicher Informationen in verhältnismäßig kurzer Zeit und sorgen für eine zwanglose und lebendige Kommunikation.
- Geschlossene Fragen:
Geschlossene Fragen sind Fragen, bei denen die Antwort der Befragten auf vorgegebene Antworten beschränkt wird, beispielsweise auf "Ja" oder "Nein". Diese Art der Befragung sollte grundsätzlich nur im Anschluss an offene Fragen verwendet werden, da andernfalls leicht eine verhörähnliche Situation entstehen kann. Die geschlossenen Fragen dienen dazu, bereits gewonnene Informationen durch gezieltes Nachfragen zu vertiefen oder abzusichern.
- Suggestivfragen und rhetorische Fragen:
Bei der Verwendung dieser Art von Fragen wird die Antwort der Befragten bereits in eine bestimmte Richtung gelenkt. Zur Lenkung des Gespräches oder zur Bestätigung bekannter Meinungen sind Suggestivfragen geeignet. Generell sollten sie aber sparsam eingesetzt werden, um keine Zweifel bei den Befragten hervorzurufen.
Eine besondere Form der Suggestivfrage ist die rhetorische Frage. Hierbei wird eine Frage gestellt, welche durch ihre besondere Formulierung eigentlich schon beantwortet ist. Von den Befragten wird keine Antwort erwartet. Diese Frageart kann dazu dienen, das Interesse an den Gedankengängen der Interviewer bei den Befragten zu wecken. Auch hier gilt, dass rhetorische Fragen nur sehr sparsam und gezielt einzusetzen sind.
Für die Gewinnung von Daten und Informationen sind Suggestivfragen ungeeignet.
- Direkte und indirekte Fragen:
Direkte Fragen sprechen einen Sachverhalt gezielt an und offenbaren unmittelbar die Erhebungsabsicht der Fragesteller. Demgegenüber stehen die indirekten Fragen, die den Befragungsgegenstand nicht offen ansprechen sondern verschleiern. Indirekte Fragen können aus taktischen Gründen verwendet werden, wenn beispielsweise Antworten verweigert werden und Befragte über neutrale Fragen unbewusst an die Beantwortung der eigentlich relevanten Frage herangeführt werden sollen.
2. Durchführung
Ein Interview wird grundsätzlich in drei Phasen unterteilt: Kontakt-, Erhebungs- und Ausklangphase.
2a. Kontaktphase
Die Kontaktphase dient der Einleitung des Interviews und ist, obwohl sie nicht der eigentlichen Informationsgewinnung dient, eine sehr bedeutende Phase des Interviews, da dort die Grundvoraussetzungen für den Erfolg des Interviews gelegt werden. Ziel der Interviewer ist es, ein positives Gesprächsklima aufzubauen. Je besser dies gelingt, desto höher ist auch der Informationsgehalt, der aus dem Interview gewonnen werden kann. Es empfiehlt sich, nach der Begrüßung und Vorstellung zunächst noch einmal kurz die Hintergründe und Ziele für das Interview darzustellen und einen Überblick zum Verlauf des Gesprächs zu geben. Abhängig vom Gesprächspartner kann es zur Schaffung einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre günstig sein, kurz auf persönlicher Ebene ein Gespräch über ein aktuelles Thema zu führen.
2b. Erhebungsphase
In der Erhebungsphase ist es sinnvoll, zunächst eher offene Fragen zu stellen. Hierdurch wird die Möglichkeit eröffnet, sich zunächst allgemein zu äußern und „warm zu reden“. Durch gezieltes Nachfragen kann das Gespräch anschließend in eine bestimmte Richtung gelenkt und entsprechend dem erstellten Interviewleitfaden weiter geführt werden. Es ist üblich, im Verlauf eines Interviews einen fließenden Übergang von offenen zu geschlossenen Fragen vorzunehmen. Generell sollte das Verhältnis zwischen offenen und geschlossenen Fragen ausgewogen sein. Offene Fragen sorgen zwar für ein zwangloses und lebendiges Interview, bergen aber die Gefahr, das Ziel aus den Augen zu verlieren. Geschlossene Fragen können hingegen leicht zu einer verhörähnlichen Situation führen, bei der dann eventuell Informationen von Befragten nicht geäußert werden.
Die Inhalte des Interviews könnten wie folgt angeordnet werden:
- Allgemeine Informationen sammeln (Aufgaben, Abläufe),
- Probleme und Erfahrungen erfragen (Stärken und Schwächen),
- Problemursachen erfragen,
- Lösungsansätze erfragen (Optimierungspotenziale), Lösungsansätze bewerten (Vorteile, Nachteile).
Um Fehler und Missverständnisse zu vermeiden, sollte nach jedem inhaltlichen Punkt eine gemeinsame Zusammenfassung der Informationen vorgenommen werden.
Die Dokumentation der Informationen erfolgt parallel zum Interview. Dafür stehen die folgenden Möglichkeiten zur Verfügung:
- Aufzeichnung auf einem Tonträger (nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Befragten),
- Schriftliche Aufzeichnung durch einen Dritten,
- Schriftliche Aufzeichnung durch die Interviewer oder
- Aufschreiben aus dem Gedächtnis.
2c. Ausklangphase
Zum Abschluss folgt der Dank an die befragte Person und die Information zum weiteren Vorgehen. Das Vertrauen zwischen beiden Beteiligten soll erhalten bleiben, um den Erfolg möglicher weiterer Gespräche zu sichern und die Atmosphäre im Untersuchungsbereich positiv zu beeinflussen.
6.1.2.3 Hinweise und Tipps aus der Praxis
- Die bewährte Vorgehensweise in der Praxis ist die Durchführung von Einzelinterviews mit vertrauensvoller Atmosphäre nach dem halb-standardisierten Verfahren. Mit Hilfe offener Fragen werden Informationen und Daten erhoben und durch geschlossene Fragen abgesichert.
- Es ist wichtig, den Befragten stets zuzuhören und sie nicht zu unterbrechen. Dies könnte als unhöflich empfunden werden und den Gesprächsverlauf empfindlich stören. Auch können hierdurch Informationen abgeschnitten werden. Schweift die befragte Person ab, kann das Interview durch gezielte Fragestellung gelenkt werden.
- Oftmals ist es erforderlich, den zu Befragenden Vertraulichkeit hinsichtlich ihrer Einschätzungen und Meinungen zuzusichern. Die gewonnenen Informationen sind dann anonymisiert zu verwenden.
- Den Befragten sollte es freigestellt werden, eine Person ihres Vertrauens, zum Beispiel ein Mitglied der Personalvertretung zum Interview hinzuzuziehen.
- Es hat sich bewährt, die gewonnenen Daten und Informationen den Befragten zur Einsichtnahme und Prüfung auf Richtigkeit und Vollständigkeit vorzulegen. Inhaltliche Fehler, die nicht schon während des Interviews durch Kontrollfragen aufgedeckt wurden, können so noch beseitigt werden.
Fußnote
[1] Eine Übersicht zu möglichen Interview-Themen finden Sie hier