1.7.4.3 Mögliche Handlungsfelder

Typ: Artikel , Schwerpunktthema: Einführung

1.7.4.3.1 Moderne Arbeitsorganisation

Derzeit setzen sich viele Behörden mit der Frage auseinander: Wie müssen Arbeit und Führung in einer digitalen Behörde gestaltet werden, damit Effektivität und Effizienz der Aufgabenerledigung weiterhin sichergestellt sind?
Zu einer modernen Arbeitsorganisation, die vor allem mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ermöglichen soll, gehören u.a.:

  • Interdisziplinäres Arbeiten: Ein möglichst breites Spektrum an fachlichem Know-how und Erfahrungshintergründen ermöglicht eine umfassende Betrachtung der Themen aus unterschiedlichen Perspektiven.
  • Orientierung an Bürgerinnen und Bürgern bzw. Nutzerinnen und Nutzern, (Zielgruppenorientierung): Relevante Stakeholder werden in die Entwicklung von Leistungen und Services einbezogen.
  • Selbstorganisation in agilen Strukturen: Ergänzend zur klassischen Hierarchie werden Netzwerke gebildet, in denen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Team- und Organisationsgrenzen hinweg austauschen können. Mithilfe behördenübergreifender Netzwerke kann Wissen von außen nach Bedarf in die Strukturen der Organisation eingeflochten werden, etwa über Future-Labs oder Fokusgruppen.
  • Kommunikation in agilen Strukturen: Arbeit in Netzwerken bedeutet oft auch unterschiedliche Arbeitsorte und erfordert ein besonderes Bewusstsein für die Kommunikation – u.a. die Kompensation nonverbaler Kommunikation.
  • Das Denken in individuellen Zuständigkeiten wird ergänzt durch die Wahrnehmung von Kreuz- und Querbezügen.
  • Arbeitsorganisation findet unter Berücksichtigung von Lebensphasen statt.
  • Arbeiten im Experimentiermodus: Dabei wird mit überschaubaren Änderungen und Teilergebnissen experimentiert.
  • Feedback zu Zwischenergebnissen, das regelmäßig in kurzen Intervallen von innen und außen eingeholt wird. Der Fokus liegt auf Veränderungspotenzialen, die der besseren Nutzbarkeit dienen.

1.7.4.3.2 Führungskultur

Im Zusammenhang mit moderner Arbeitsorganisation verändert sich auch das Verständnis von Führung.

Die neuen Formen der (Zusammen-)Arbeit erfordern, dass Verantwortung und Kontrolle neu gedacht werden müssen, da sie nicht mehr nur in den herkömmlichen Strukturen „top-down“ funktionieren. Führung kann dann auch heißen:

  • möglich machen, ermutigen und katalysieren, beschäftigtenorientierte Führung auf allen Hierarchieebenen, einen Rahmen schaffen,
  • den digitalen Transformationsprozess moderieren, vermitteln und gestalten, die Rolle des Veränderungsmanagers und der Veränderungsmanagerin übernehmen,[18]
  • neue Rollen in sich selbst organisierenden Teams von der Hierarchie stärken,
  • Empathie wird zunehmend Kernkompetenz in der Führung,
  • eine Haltung, die von Vertrauen, Offenheit, Transparenz, Selbstorganisation und Zielgruppenorientierung geprägt ist.

Da Organisationskultur in erster Linie über Führung implementiert wird, lassen sich Führungs- und Organisationskultur nicht getrennt und unabhängig voneinander entwickeln.

Stellgrößen der Führungskultur können beispielsweise sein:

  • Worauf richten Führungskräfte regelmäßig ihre Aufmerksamkeit?
  • Was wird gemessen und einem Controlling unterzogen?
  • Wie reagieren Führungskräfte auf kritische Ereignisse und Krisen in der Organisation?
  • Nach welchen Kriterien werden knappe Ressourcen zugeordnet?
  • Welches Vorbildverhalten zeigen die Führungskräfte?
  • Wie gehen Führungskräfte mit Feedback, Kritik und Anerkennung um?
  • Wie werden die (hierarchieübergreifende) Zusammenarbeit und der Umgang miteinander gestaltet?
  • Nach welchen Kriterien werden Anerkennung, Belohnung und Status zugewiesen?
  • Nach welchen beobachtbaren Kriterien werden neue Organisationsmitglieder rekrutiert, ausgewählt, integriert und befördert?

„Die selbständigen, lösungsorientierten und digital versierten Beschäftigten verlangen nach einer aktivierenden und vertrauensvollen Führung. Die zentrale Funktion von Führungskräften wird daher darin liegen, die Arbeitsorganisation und das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass die Teams ihre Potenziale bestmöglich entfalten können.“ [19]

Konkret kann das bedeuten:

  • Orientierung geben,
  • übergeordnete Ziele kommunizieren, Leitplanken in Form von klaren Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit aufstellen,
  • effiziente Zusammenstellung von Teams im Blick haben,
  • organisatorische und administrative Hürden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Weg räumen,
  • Coaching und Beratung anbieten,
  • Arbeitsergebnisse konstruktiv bewerten und wertschätzend kommunizieren,
  • empathische Ansprechperson auf Augenhöhe sein,
  • Führung anbieten, die die Eigenverantwortung des Einzelnen stärkt.

Zwischenmenschliche Fähigkeiten der Führungskräfte sowie die Fähigkeit zur Selbstreflexion, grundsätzliche Neugier und Offenheit gewinnen an Bedeutung. Hierbei ist es wichtig, eine Offenheit für den Umgang mit positiven wie negativen Erfahrungen zu schaffen (Fehlerkultur positiv vorleben).

1.7.4.3.3 Agiles Denken und Handeln

Die Nutzung agiler Vorgehensweisen (z. B. Scrum, Kanban) und die Zusammenarbeit in agilen Strukturen (z. B. Netzwerkorganisation, sich selbst organisierende Teams) gewinnen für eine flexible und anpassungsfähige Verwaltung zunehmend an Bedeutung. Da eine wirkungsvolle agile Praxis bei den Beteiligten zunächst eine entsprechende Haltung („Mindset“) voraussetzt,[20] kann agiles Denken und Handeln ein relevantes Thema des Kulturwandels sein. Die Klärung, was Agilität eigentlich im Kontext einer modernen, digitalisierten Verwaltung bedeutet, ist noch keinesfalls abgeschlossen. [21]

Wichtig/Bildquelle: BMI

Damit Agilität nicht als inhaltsleeres Modewort verbrennt, ist es wichtig, dass der Begriff mit Inhalten gefüllt wird und dass das zugrunde liegende Verständnis auch in den Behörden kommuniziert wird. Es sollte nicht alles, was ungeplant, spontan und informell geschieht, als agile Praxis deklariert werden. Aspekte, die mit agilen Arbeitsweisen verbunden werden, sind insbesondere:

  • Reflektieren, experimentieren und informieren
  • Eigenverantwortung übernehmen und übergeben,
  • kritikfähig sein,
  • mutig, transparent und offen für Neues sein,
  • kontinuierliches Feedback der künftigen Zielgruppen neuer Leistungen und Services einholen und verarbeiten,
  • respektvoll und wertschätzend in (übergreifenden) Teams zusammenarbeiten,
  • mit Unsicherheit und Veränderung selbstverständlich umgehen,
  • fehlertolerant sein,
  • Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster und Denkweisen entwickeln.[22]

Wichtig/Bildquelle: BMI

Agilität benötigt sehr wohl Planung und Regeln; auf Transparenz wird besonderer Wert gelegt. Konkrete Anforderungen dazu werden in den Ausführungen zu agilen Vorgehensweisen (z. B. im Projektmanagement) und zur Etablierung agiler (Netzwerk-)Strukturen beschrieben.


Agile Vorgehensweisen entwickeln erst dann ihre Wirkung, wenn entsprechende Werte und Prinzipien die Haltung der Führungskräfte und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prägen und die passenden Strukturen und Voraussetzungen (z. B. Entscheidungskompetenzen, Arbeitsumfeld) geschaffen sind.

Praxis/Bildquelle: BMI

„Agile Werte und Prinzipien zu leben bedeutet beispielsweise Offenheit und Flexibilität gegenüber anstehenden Veränderungen oder neuen Aufgaben, ebenso (Risiko-)Bereitschaft, Mut und Selbstvertrauen, notwendige Veränderungen mitzutragen und mitzugestalten.“ (Statistisches Bundesamt, WISTA 3/2018)[23]

Hintergrund des agilen Ansatzes ist das 2001 entstandene „Manifest für agile Software-Entwicklung“. Die hier enthaltenen Aussagen können grundsätzlich auch auf Organisations-, Digitalisierungs- und weitere Modernisierungsmaßnahmen der öffentlichen Verwaltung übertragen werden.

Als agile Grundwerte werden genannt:

  • „Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
  • Funktionierende Produkte und Leistungen sind wichtiger als umfassende Dokumentation.
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlung.
  • Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.“ [24]

Das soll aber keineswegs bedeuten, dass die im zweiten Halbsatz genannten Werte obsolet sind.

Das Forum Agile Verwaltung [25] fasst die Prinzipien der agilen Denkweise mit Blick auf die Verwaltung in folgenden Leitsätzen zusammen:

  • „Das Ganze in den Blick nehmen,
  • cross-funktionale Teams bilden,
  • mit überschaubaren Änderungen und Teilergebnissen experimentieren,
  • die Anspruchsberechtigten einbeziehen,
  • sich regelmäßiges Feedback von innen und außen verschaffen,
  • und so sein System immer angemessener machen“.[26]

PostIt/Bildquelle: BMI

[27]

1.7.4.3.4 Innovation und Fehlertoleranz

Eine Innovationskultur kann beispielsweise dadurch gefördert werden, dass Zeit und Anreize für die Entwicklung neuer Ideen bereitgestellt werden, ein offener und ehrlicher Austausch von Ideen und Lösungen unter den Beschäftigten angeregt wird, Konfliktbewusstsein geschaffen und Fehlertoleranz gelebt werden.[28]

1.7.4.3.5 Weitere Aspekte

Für einen Kulturwandel können darüber hinaus folgende Aspekte von Bedeutung sein:

  • offene Kommunikation nach innen und außen,
  • gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen,
  • Chancengleichheit, Vielfalt und Berücksichtigung individueller Bedürfnisse,
  • Personalentwicklung, lebenslanges Lernen und Qualifizierung,
  • Wissenssicherung und -transfer.

Fußnoten

[18] Vgl. Trendreport Digitaler Staat 2018, S. 21
[19] Trendreport Digitaler Staat 2018, S. 21
[20] Vgl. Stroh 2019, S. 14 f.
[21] Agilität geht auf das lateinische Wort „agilis“ zurück und wird mit „beweglich“, „wendig“ und „reaktionsschnell“ übersetzt.
[22] Vgl. Stroh 2019, S. 16 ff.
[23] Thiel, Meinke 2018, S. 12
[24] Kent, Beck u.a. 2001, Manifest für agile Software-Entwicklung, Werte, https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html., Abruf am 14.04.2019
[25] Forum Agile Verwaltung, ein 2016 gegründeter Verein, der die Kultur der Agilität in die öffentliche Verwaltung tragen möchte, vgl. https://agile-verwaltung.org, Abruf am 12.12.2019
[26] Forum Agile Verwaltung, Leitsätze, https://agile-verwaltung.org/was-bedeutet-agile-verwaltung/, Abruf am 12.12.2019
[27] Steuck 2019, S. 168. Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine Masterarbeit an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Alexandra Steuck kommt aufgrund einer Online-Befragung von oberen Führungskräften, an der sich 25 Bundesbehörden beteiligt haben, u.a. zu folgenden Ergebnissen: Die Verwaltung verbinde zwar viele Erwartungen mit agilen Initiativen, gleichzeitig sehe sie aber auch zahlreiche Hindernisse und Risiken (S. 167). Insgesamt sei die Thematik Agilität in der Verwaltung angekommen. Die Entwicklung dieser Fähigkeit werde jedoch noch nicht ernsthaft in Angriff genommen. . […]Es reiche nicht aus, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu agilem Verhalten zu befähigen. Vielmehr müssten auch die Prozesse, Strukturen und insbesondere die Organisationskultur auf agiles Verhalten ausgerichtet werden (S. 168).
[28] Vgl. DIN SPEC 77555-1 Innovationsmanagement – Teil 1: Innovationsmanagementsysteme, S. 9 „Förderung einer Innovationskultur“.