2.2.5 Strategieentwicklung
Artikel Organisationshandbuch
2.2.5.1 Grundlegende Hinweise zum Vorgehen
Eine Strategie zu erarbeiten, bedeutet, bisherige Einstellungen, Annahmen und Verhaltensweisen zu reflektieren und zu hinterfragen, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und einen langfristigen Handlungsrahmen für eine naturgemäß ungewisse Zukunft zu erarbeiten. Die folgenden Ausführungen sollen dabei unterstützen, diese schwierige Aufgabe zu meistern.
Die Ausführungen geben damit Orientierung für den Strategieprozess, sind jedoch keinesfalls als strikt einzuhaltender Ablaufplan zu verstehen.
Allen beteiligten Akteuren sollte bewusst sein, dass eine Strategieerstellung immer auch ein Lernprozess ist. Im Laufe des Prozesses werden zunehmend neue Erkenntnisse generiert, die zuvor erarbeitete Annahmen infrage stellen. Die sich daraus ergebenden Rücksprünge zu vorausgegangenen Schritten sind üblich und sinnvoll – vorausgesetzt, sie erfolgen zielgerichtet und nehmen nicht überhand.
Zum Wesen der Strategiefindung als Lernprozess gehört auch, dass die erste Strategie einer Organisation selten stringent alle in diesem Kapitel dargelegten Ansprüche erfüllen wird. Perfektionismus im ersten Durchgang würde den Prozess unnötig blockieren. Vielmehr ist es wichtig, mit jedem Strategiezyklus zu lernen und sich zu verbessern.
Die Dauer der Strategieentwicklung hängt für einen erstmaligen Strategieprozess u. a. von der Größe der Behörde, ihren Aufgaben und der Managementkompetenz der Führungskräfte ab. Als grober Erfahrungswert ist hier ein Zeitraum von etwa sechs bis zwölf Monaten anzusetzen. Dieser Zeitraum ist ambitioniert, aber durchaus realistisch.
Eine weitere grundsätzliche Erwägung betrifft die Einbindung der Arbeitsebene des Hauses. Auch wenn strategische Entscheidungen Leitungsentscheidungen sein müssen, ist es sehr zu empfehlen, die Arbeitsebene verschiedener Bereiche eines Hauses sowie die Gremien mit einzubeziehen, um die Einschätzungen und das Erfahrungswissen der Mitarbeitenden zu nutzen und die Akzeptanz der Entscheidungen zu erhöhen. Hierzu können entsprechende Akteure unmittelbar in das Projekt, über ein Beratungsgremium oder mithilfe von Umfragen und Meinungsbildern einbezogen werden.
Darüber hinaus ist es sinnvoll, Aufgabenpakete an die Beteiligten des Strategieprozesses frühzeitig zu kommunizieren, an die Erledigung dieser Arbeitspakete zu erinnern, die an der Strategieentwicklung (und später Strategieumsetzung sowie -anpassung) regelmäßig inhaltlich auf den aktuellen Stand zu bringen und diesen Bearbeitungsstand in Erinnerung zu rufen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund nicht zu unterschätzen, dass für die Führungskräfte der Strategieprozess häufig neben dem Alltagsgeschäft des Führens und Leitens läuft und daher möglichst „komfortabel“ unterstützt werden sollte. Des Weiteren ist es wichtig, Vertretungsregelungen im Falle von kurzfristigen oder auch geplanten Abwesenheiten zu schaffen, damit dies dem Strategieprozess nicht im Wege steht.
2.2.5.2 Vision erarbeiten
Der erste Schritt im Strategie-Entwicklungsprozess ist die Entwicklung einer Vision. Eine Vision beschreibt einen in der Ferne liegenden Idealzustand, auf den sich eine Behörde langfristig hinbewegen möchte.
Die Vision wirkt richtungsgebend über mehrere Strategiezyklen hinweg und sorgt damit für eine gewisse Kontinuität, gibt Halt für alle Mitglieder der Organisation und Orientierung für Dritte. Eine starke, überzeugende Vision ist die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis zur langfristigen Ausrichtung der Behörde, mit der auch ihr Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht werden kann. Gelingt es, eine Vision zu erarbeiten, mit der sich alle identifizieren, so kann auch der Weg hin zu dem in der Ferne liegenden Idealzustand gemeinsam beschritten werden.
Auch für den eigentlichen Strategieprozess bildet eine klare Vision die Grundlage. Das gemeinsame Verständnis zur Ausrichtung der Behörde hilft den Beteiligten, die strategischen Ziele als Wegmarken zum Erreichen der Vision zu erarbeiten.
Wie eine gute Vision für eine Behörde aussehen kann, hängt stark von ihrer Kultur sowie der Art und Spannbreite ihres Aufgabenspektrums ab. In der Regel besteht eine Vision aus einem Satz, der einen abstrakten, idealen aber grundsätzlich realistischen Anspruch ausdrückt. Die Vision sollte dabei weitest möglich die grundsätzlichen Werte und Prinzipien einer Behörde erfassen.
Um eine Vision trotz eines verhältnismäßig hohen Abstraktionsgrades greifbarer zu machen und besser zu transportieren, bietet sich eine bildliche Erläuterung an. Beispiele hierfür sind kurze Geschichten oder Beschreibungen, wie zentrale Stakeholder (z. B. Kundinnen und Kunden oder Beschäftigte) den mit einer Vision skizzierten Idealzustand erleben. Eine detaillierte sachliche Definition einer Vision birgt hingegen die Gefahr, Ergebnisse des weiteren Strategieprozesses vorwegzunehmen. Für ein Beispiel einer Vision siehe Abschnitt 2.2.4.2
Erarbeitet werden sollte eine Vision in erster Linie von der Behördenleitung in Zusammenarbeit mit dem strategischen Lenkungsgremium. Eine Einbindung von Mitarbeitenden, z. B. durch Umfragen oder Fokusgruppen, ist sinnvoll, um sicherzustellen, dass die Vision in Einklang mit der Kultur der Behörde steht.
Hat sich eine Behörde bereits ein Leitbild gegeben, so ist die Vision im Einklang mit diesem zu erarbeiten. Wenn das Leitbild bereits eine Vision enthält, sollte sie in den Strategieprozess übernommen werden. So wird auch deutlich, dass der Strategieprozess auf Vorhandenem aufsetzt und „das Rad nicht neu erfunden wird“. Sollte der Begriff „Vision“ in einer Behörde „verbrannt“ und damit negativ besetzt sein, können umschreibende Begriffe, wie z. B. Idealzustand, genutzt werden.
2.2.5.3 Strategische Situation analysieren
Ziel des zweiten Schrittes – der strategischen Analyse – ist es, die für die Zielfindung notwendige Informationsgrundlage zu schaffen.
Mithilfe verschiedener Analyseinstrumente können die für die Strategiefindung relevanten internen und externe Faktoren identifiziert und strukturiert betrachtet werden. Solche Instrumente berücksichtigen den Status quo, weiten aber auch den Blick auf bisher nicht berücksichtigte Faktoren und unterstützen dabei, bestehende Annahmen zur eigenen Behörde sowie deren Umfeld zu hinterfragen sowie die eigenen Überlegungen zu strukturieren. Die Analyseinstrumente helfen durch die systematische Betrachtung von Zahlen, Daten und Fakten dabei, eine Entscheidungsfindung ausschließlich „aus dem Bauch heraus“ zu vermeiden, auch wenn das „Bauchgefühl“ im Sinne impliziten Erfahrungswissens weiterhin eine Rolle spielen wird.
Das Instrumentarium zur strategischen Analyse ist äußerst umfangreich. Einen beispielhaften Überblick enthält Abbildung 2, wobei diese Übersicht bei weitem nicht vollständig ist. Sie enthält Instrumente, die von den Organisationen des Arbeitskreises Steuerung und Controlling in öffentlichen Institutionen genutzt werden.
Abbildung 7: Einsatz unterschiedlicher Instrumente im Prozess der strategischen Analyse im Arbeitskreis Controlling und Steuerung in öffentlichen Institutionen auf einer Skala von 0-5 (Wert 0 entspricht: kein Einsatz des Instruments, Wert 5 entspricht: Einsatz des Instruments sehr verbreitet) [8]
Eine Analyse der externen und internen Faktoren ist Informationsgrundlage einer jeden Strategieerarbeitung. Welche Faktoren das umfasst und wie dieses systematisch aufbereitet werden können, wird im Folgenden beschrieben. Sie bilden die Basis für die SWOT-Analyse.
Externe Faktoren (Umfeldfaktoren) – Chancen und Risiken
In welcher Form eine Behörde Leistungen zur Erfüllung ihres Auftrages wie gut erbringt, wird maßgeblich von ihrem Umfeld beeinflusst. So kann der demografische Wandel beispielsweise die Nachfrage nach Behördenleistungen strukturell ändern. Ein intensiverer Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt kann die Personalgewinnung insbesondere bei Fachkräften erschweren. Neue Technologien bieten Möglichkeiten zur Digitalisierung und Automatisierung und können gleichzeitig die Erwartungshaltung der Kunden verändern. Deshalb ist es wichtig, wesentliche auf die Behörde einwirkende Umfeldfaktoren zu identifizieren, zu bewerten und ihre zukünftige Entwicklung zu prognostizieren.
Eine wichtige Methode hierzu ist die PESTEL-Methode, mit der unterschiedliche Typen von Faktoren analysiert werden. Ergänzend dazu bietet es sich an, eine Stakeholder-Analyse durchzuführen. Sie adressiert die verschiedenen Interessengruppen wie z. B. Kunden, Politik und Partner der Leistungserbringung.
Mithilfe der Szenariotechnik kann die Ungewissheit zur zukünftigen Entwicklung von Faktoren berücksichtigt werden. Diese Ungewissheit ergibt sich häufig daraus, dass die zu erarbeitende Strategie langfristig ausgerichtet ist, die Umfeldfaktoren daher entsprechend prognostiziert werden müssen. Können sich Entscheiderinnen und Entscheider nicht mit ausreichender Sicherheit festlegen, können mithilfe der Szenariotechnik verschiedene Szenarien zur zukünftigen Entwicklung erarbeitet werden. Um die Entscheidungsfindung nicht zu komplex werden zu lassen, empfiehlt es sich, maximal drei oder vier Szenarien zu bilden. Häufig werden dabei vorteilhafte und nachteilige Szenarien sowie ein oder zwei zwischenliegende Szenarien skizziert. Mit diesen Szenarien können dann im weiteren Verlauf die erarbeiteten Ziele durchgespielt werden. Hierzu ist es wichtig, die den Szenarien zugrundeliegenden Annahmen gut zu dokumentieren.
Unabhängig von den verwendeten Methoden empfiehlt es sich, die identifizierten Faktoren hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung für die Behörde und hinsichtlich ihres Gefahrenpotenzials zu bewerten. Hieraus ergibt sich eine gewichtete Übersicht über die Chancen und Risiken, ggf. konkretisiert durch verschiedene Szenarien.
Interne Faktoren – Stärken und Schwächen
Neben externen Faktoren sind auch die internen Faktoren zu analysieren, mit denen die Stärken und Schwächen der Behörde beschrieben werden können. Interne Faktoren können dabei jegliche Ressourcen und Fähigkeiten sein, die für die Leistungsfähigkeit der Behörde von wesentlicher Bedeutung sind. Beispiele hierfür können je nach Behörde eine hohe Digitalisierungskompetenz, ein ausgereiftes Prozessmanagement, eine gute IT-Ausstattung, hochmotivierte und –qualifizierte Mitarbeitende oder eine auf Innovation ausgerichtete Kultur sein.
1.
In einem ersten Schritt sind die für das Erreichen der Vision sowie für den mittelfristigen Erfolg einer Behörde kritischen internen Erfolgsfaktoren (Ressourcen und Fähigkeiten) zu identifizieren. Hierzu sind zunächst potenziell relevante Faktoren zu sammeln, wie z. B. Prozesseffizienz oder zur Aufgabenerfüllung relevantes Know-how. Dabei sollten die Leitung der Behörde und ihre verschiedenen Bereiche einbezogen werden. Auch eine maßvolle Einbeziehung der Mitarbeiterebene sowie externer Akteure, insbesondere aus der aufsichtführenden Behörde, können hier relevante Erkenntnisse liefern. Anschließend sollten diese Faktoren hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung für die Behörde bewertet werden.
2.
In einem zweiten Schritt geht es um die Bewertung dessen, wie gut die Behörde mit diesen Ressourcen und Fähigkeiten ausgestattet ist. Hierzu empfiehlt es sich, die im vorherigen Schritt als strategisch besonders bedeutend identifizierten Faktoren auf einer Skala von +5 (stark) bis -5 (schwach) zu bewerten. Um die Gefahr von Fehlwahrnehmungen und Verzerrungen zu vermeiden, sollten die einzelnen Bewertungen soweit möglich mit Belegen unterlegt werden. Hierzu können u. a. folgende Quellen herangezogen werden:
- positiver oder negativer Beitrag der Faktoren im vorherigen Strategiezyklus,
- Daten aus einem bereits vorhandenen Prozessmanagement,
- Befragungen von Mitarbeitenden, Kunden oder der Fachaufsicht[9],
- Auswertung der Kosten- und Leistungsrechnung sowie des Controllings,
- Vergleich mit anderen Organisationen (Benchmarking).
Aus der Bewertung und der strategischen Bedeutung ergeben sich dann die bei der Zielfindung zu berücksichtigenden Stärken und Schwächen.
Die genannten Schritte müssen nicht strikt sequenziell abgearbeitet werden. Vielmehr können sich bei der Auseinandersetzung mit Datenmaterial im zweiten Schritt durchaus Hinweise für noch nicht berücksichtigte Faktoren des ersten Schritts ergeben.
Analyse des Aufgabenportfolios
Zur strategischen Analyse gehört auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Aufgabenbestand einer Behörde, die auf dieser Ebene als Portfolioanalyse erfolgen sollte. Im Mittelpunkt steht hier die Frage: Sind die derzeit wahrgenommenen Aufgaben (optimal) dazu geeignet, dass die Behörde ihren Auftrag und Zweck wirksam und wirtschaftlich erfüllt? Bilden sie das Kerngeschäft ab? Aufgaben, die hierzu keinerlei oder nur einen geringen Beitrag leisten, müssen kritisch hinterfragt werden: Kann die Aufgabe entfallen oder reduziert werden, kann eine andere Aufgabe das Ziel besser erreichen? „Es sind in der Praxis vielfach eher monetäre Zwänge als rationale (strategische) Überlegungen, die zur Neu- oder Umverteilung bzw. auch zum Wegfall von größeren Aufgabenkomplexen führen.“[10] Werden über lange Zeiträume Aufgaben „mitgeschleppt“, die längst nicht mehr zeitgemäß, adressatengerecht oder zweckgerichtet sind, werden bei gleichbleibenden oder sogar abnehmenden Personalressourcen Spielräume für die Übernahme künftiger Aufgaben verschenkt.
Die Portfolioanalyse setzt auf den Analyseergebnissen der externen und internen Faktoren auf und setzt diese in Beziehung zu den Aufgabenbereichen der Behörde. Von besonderer Bedeutung ist hier der (Personal-) Ressourcenverbrauch der Aufgabenbereiche. Qualitative und quantitative Aufgabenzuwächse oder neue Tätigkeitsschwerpunkte, die sich aus einer neuen strategischen Ausrichtung ergeben, können nur dann umgesetzt werden, wenn die erforderlichen (Personal)-Ressourcen verfügbar sind oder durch zum Beispiel Umpriorisierung oder Schwerpunktverlagerung verfügbar gemacht werden können. Im Zuge der Strategieumsetzung sollte hierzu eine systematische Aufgabenkritik (Zweck- und Vollzugskritik) als Daueraufgabe in den einzelnen Bereichen eingeführt werden. Eine regelmäßige Aufgabenkritik unterstützt die Behördenleitungen dabei, ihre Ziele auch unter veränderten Rahmenbedingungen (z. B. bei neu übertragenen Aufgaben) zu erreichen.[11]
Die Durchführung der Analysephase obliegt der operativen Leitung des Strategieprozesses, unterstützt durch das Projektteam. Für strategierelevante Entscheidungen, insbesondere hinsichtlich der strategischen Relevanz von Faktoren und Aufgaben, ist der Eigner bzw. die Eignerin der Strategie, unterstützt durch das strategische Lenkungsgremium, verantwortlich.
Die nachfolgende Grafik kann bei der strategischen Analyse, insbesondere im Hinblick auf das Aufgabenportfolio, unterstützen:
WOZU?: | Welchen strategischen Beitrag leistet die Aufgabe? |
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FÜR WEN?: | Für wen (welche Kunden, welche Interessengruppe, welche Betroffenen) wird die Aufgabe wahrgenommen? |
ERFOLGSKRITERIEN:
| Gibt es Termine, die einzuhalten sind? Kann der Erfolg gemessen werden? Gibt es dafür Kriterien? Werden bei der Aufgabenwahrnehmung das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berücksichtigt? |
ERGEBNIS: | Sind die Ergebnisse spezifiziert und messbar? Kann man aus den Ergebnissen Rückschlüsse auf den strategischen Beitrag der Aufgabe ziehen? |
Unterstützende Matrix - strategische Analyse (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster)
Abbildung 8: unterstützende Matrix zur strategischen Analyse, insbesondere im Hinblick auf das Aufgabenportfolio
2.2.5.4 Ziele definieren
Je höher die Abstraktionsebene und umso größer die Gruppe der Workshopteilnehmenden, umso schwerer tun sich in aller Regel die Beteiligten mit Formulierungen und Festlegungen zur Definition von Zielen. Dies liegt in der Natur der Sache, sollte aber auf jeden Fall bei der Planung berücksichtigt werden.
2.2.5.4.1 Strategiefindung als kreativer Lernprozess
Nach der Evaluierung der Ausgangslage im Zuge der Analyse erfolgt in der nächsten Phase eine Synthese der verschiedenen Analyseergebnisse sowie der Sichtweisen der Führungskräfte zu einer das gesamte Haus umfassenden Strategie.
Alle Beteiligten müssen sich bewusst sein, dass die Erarbeitung von Strategien und strategischen Zielen ein Lernprozess ist. Aufgrund der ungewissen Zukunft gibt es häufig kein „richtig“ oder „falsch“, sondern einen Widerstreit unterschiedlicher Annahmen, Einschätzungen und Meinungen der Führungskräfte. So geht es vor allem darum, ein gemeinsames Verständnis der beteiligten Führungskräfte darüber zu erlangen, wo die wesentlichen strategischen Herausforderungen liegen und welcher Handlungsbedarf daraus resultiert, d. h. auch, wo die knappen zur Verfügung stehenden Ressourcen am besten eingesetzt werden sollten. Zielkonflikte sind dabei generell nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Neben solchen Ressourcenkonflikten werden im Strategieprozess auch häufig inhaltliche Zielkonflikte deutlich. Ein gemeinsames Verständnis für die zugrundeliegenden Annahmen, die Entstehung und Begründung gefundener Kompromisse und erfolgte strategische Festlegungen ist essentiell - auch, um die Strategie später entsprechend kommunizieren zu können. Fertige Strategiedokumente bilden eine Strategie ähnlich umfangreich ab, wie dies die berühmte Spitze des Eisbergs für den gesamten Eisberg tut.
Erfolgskritisch für die Strategiefindung ist eine gelungene durchgängige Moderation. Dabei ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Moderation, Annahmen und Aussagen stets zu hinterfragen und mit Erkenntnissen der Analysephase zu spiegeln. Die Moderation muss darauf hinwirken, dass Entscheidungen nicht ausschließlich „aus dem Bauch“ heraus oder der Gesprächsdynamik folgend gefällt, sondern stets reflektiert werden. Zudem ist es ihre Aufgabe, divergierenden Einschätzungen und Meinungen Raum zu lassen und sie gleichzeitig einander annähern zu lassen. Dabei kommt der Überwindung des „Silodenkens“ eine besondere Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang kann die persönliche Betroffenheit von Führungskräften zu einer besonderen Herausforderung werden. Beispiele hierfür sind strategische Auswahlentscheidungen, durch die sich Bereiche als nicht ausreichend gewürdigt wahrnehmen oder befürchtete Bedeutungsverluste infolge von Umstrukturierungen, z. B. bei einem Übergang von einer aufgabenbezogenen zu einer prozessorientierten Aufbauorganisation. Derartige Punkte sind von der Moderation früh zu identifizieren und zu adressieren. Ziel ist es, auf der einen Seite betroffenen Personen Raum zu geben, um sie im weiteren Verlauf nicht zu verlieren, und auf der anderen Seite sicherzustellen, dass Partikularinteressen nicht entscheidungsrelevant werden.
2.2.5.4.2 Methoden zur Identifizierung von strategischen Optionen und Zielen
Wie bereits beschrieben, ist die Identifikation strategischer Optionen und daraus abgeleiteter strategischer Ziele ein kreativer Vorgang. Entsprechend ist diese Phase wesentlich weniger methodengeleitet als die Analysephase. Dennoch können beispielsweise folgende Methoden unterstützend genutzt werden:
- SWOT-Analyse
Eine klassische Methode zur Ableitung strategischer Optionen aus der Betrachtung interner und externer Faktoren der Organisation ist die SWOT-Analyse. Dabei werden die Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses), die sich aus der Analyse der internen Faktoren ergeben haben, mit den Chancen (Opportunities) und Risiken (Threads) aus der Analyse der externen Faktoren in einer Matrix zusammengeführt. Die unmittelbare Verbindung der Innen- und Außensicht sowie die direkte Verarbeitung identifizierter Faktoren ist eine Stärke dieses Vorgehens. Die hieraus resultierende Gesamtsicht auf die Organisation eröffnet einen Blick auf verschiedene strategische Optionen. Wichtig bei dieser Methode ist, dass wie bei jedem anderen Vorgehen zur Strategiefindung auch durch die alleinige Anwendung der SWOT-Analyse nicht alle sinnvollen strategischen Optionen zutage treten. Eine Diskussion und Weiterentwicklung der Ergebnisse aus verschiedenen Blickwinkeln im Sinne des oben beschriebenen kreativen Lernprozesses ist daher erforderlich. Zudem ist anzumerken, dass das Vorgehen einer SWOT-Analyse zwar zunächst einfach erscheint, eine methodisch korrekte Anwendung jedoch durchaus anspruchsvoll ist. - Szenariotechnik
Weiter oben wurde bereits dargestellt, wie die Szenarienbildung die strategische Analyse unterstützen kann. Dort haben die Szenarien den Charakter ähnlich wahrscheinlicher Zukunftsbilder, die den Führungskräften helfen sollen, die Offenheit der Behörde gegenüber Entwicklungen in ihrem Umfeld zu erhöhen und das strategische Handlungsfeld besser zu verstehen. Im Zuge der Entwicklung strategischer Optionen und mit ihnen einhergehender Ziele haben die Entscheider die Möglichkeit, mit den verschiedenen Szenarien zu „spielen“ und die Implikationen verschiedener strategischer Optionen in Abhängigkeit möglicher zukünftiger Entwicklungen besser zu verstehen. - Zielgitter
Ein Zielgitter ist eine einfache Methode, die Zielebetrachtung zu erweitern. Zumeist werden in Zieleworkshops ausschließlich Erreichungsziele diskutiert. Betrachtet man jedoch die Dimensionen „Haben wir es?“ und „Wollen wir es?“ mit den jeweils zwei Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“, so können insgesamt vier Zielarten definiert werden:- Erreichungsziele (haben wir nicht, aber wollen wir),
- Vermeidungsziele (haben wir nicht und wollen wir nicht),
- Erhaltungsziele (haben wir und wollen wir) sowie
- Eliminierungsziele (haben wir, aber wollen wir nicht).
Die genannten und weitere Methoden können die Diskussionen um mögliche Strategien und Ziele anreichern. Den oben beschriebenen Diskurs ersetzen können sie jedoch nicht.
2.2.5.4.3 Vorgehen zur Definition strategischer Ziele
Im folgenden Schritt gilt es, die oben beschriebenen Prinzipien und Methoden entsprechend der in der 2.2.2 dargestellten Systematik einzusetzen. Aus der Systematik ergeben sich zwei verschiedene Zielebenen, die Grundsatzziele und die Umsetzungsziele, deren Erarbeitung im Folgenden näher dargestellt wird.
Grundsatzziele
Grundsatzziele sind übergeordnete Vereinbarungen, durch deren Erreichung die Behörde ihre Leistungsfähigkeit und folglich ihre strategische Bedeutung wesentlich verbessert. Grundsatzziele sind damit wichtige Wegmarken zum Erreichen der Behördenvision. Entsprechend sollten die Ziele ergebnisorientiert formuliert werden.
Dabei erfordert das Formulieren der Grundsatzziele häufig eine erneute Beschäftigung mit der strategischen Ausgangssituation, teils zur Konkretisierung und weiteren Verfeinerung, teils zum Hinterfragen der Analyseergebnisse. Hieraus resultieren längere Diskussionsprozesse mit im Zeitablauf zunehmender Verfestigung oder Korrektur der Einschätzung der Ausgangssituation.
Die hinter den Zieldefinitionen liegenden Annahmen sollten stets mit Bezug auf die Ziele dokumentiert werden. Die Annahmen sind zum späteren Verständnis der Ziele und ihrer Entstehung ebenso wichtig wie für die spätere Prüfung, warum bestimmte Ziele erreicht werden konnten oder warum auch nicht. Eine sorgfältige Dokumentation ist somit eine wesentliche Grundlage strategischen Lernens.
Die entscheidenden Akteure bei der Formulierung der Grundsatzziele sind die Behördenleitung und das strategische Lenkungsgremium. Vorbereitet und durchgeführt werden die Termine in der Regel durch die Projektgruppe. Eine Unterstützung durch eine externe Beratung kann sinnvoll sein, wenn die Behörde selbst über keine Person mit ausreichender Moderationspraxis verfügt. Gegebenenfalls können darüber hinaus auch Dritte als Impulsgeber hinzugezogen werden. Die Erarbeitung der Ziele muss jedoch durch die Leitungsebene des Hauses erfolgen und darf nicht ausgelagert werden.
Ein Controlling der übergeordneten Ziele sollte periodisch mehrmals innerhalb des Strategiezyklus erfolgen.
Umsetzungsziele
Die noch verhältnismäßig abstrakt formulierten Grundsatzziele sind in einem nächsten Schritt in untergeordnete Umsetzungsziele herunterzubrechen. Diese müssen konkret messbar sein, damit der Fortschritt der Behörde bei der Erreichung der Grundsatzziele überprüft werden kann. Aufgrund ihrer Konkretisierung bauen sie die Brücke von den Grundsatzzielen zu den konkreten Maßnahmen, ohne diese Maßnahmen bereits vorwegzunehmen (siehe nachfolgenden Schritt zur Erarbeitung von Maßnahmen in Abschnitt 2.2.5.5).
Vor der Zielformulierung sollte festgelegt werden, ob Umsetzungsziele bereits bereichsspezifische Ziele vorgeben sollen oder ob diese in Teilstrategien innerhalb der einzelnen Bereiche des Hauses zu erarbeiten sind. Diese Entscheidung ist abhängig von der jeweiligen Kultur, der Größe und der Aufgaben-Vielfalt des Hauses.
Erarbeitet werden Umsetzungsziele üblicherweise vom strategischen Leitungsgremium mit Unterstützung der einzelnen jeweils verantwortlichen Bereiche des Hauses. Die Entscheidung hinsichtlich der Ziele liegt bei der Behördenleitung, im Fall von über verschiedene Ebenen der Behörde kaskadierenden Zielvereinbarungen, bei den jeweiligen Partnern dieser Vereinbarung.
Die Umsetzungsziele sollten durch ein kontinuierliches Reporting und mindestens jährliche Auswertung durch das Controlling stets „unter die Lupe“ genommen werden, um Abweichungen zu identifizieren und Nachsteuerung, um die langfristige Zielerreichung nicht zu gefährden.
2.2.5.5 Maßnahmenplan erstellen
Der Maßnahmenplan ist eines der wichtigsten Instrumente in der Strategieentwicklung und ‑umsetzung. Die Definition eines Maßnahmenplans befindet sich an der Schnittstelle zwischen der Strategieentwicklung und ihrer Umsetzung in den einzelnen Bereichen des Hauses. Entsprechend werden die Maßnahmen in der Regel in diesen Bereichen definiert. Es kann dennoch sinnvoll sein, bereits im Zuge der Strategieentwicklung übergeordnete Maßnahmen zu definieren, die entweder mehrere Bereiche des Hauses betreffen oder von besonderer Bedeutung zur Erreichung der strategischen Ziele sind. Eine solche Maßnahme kann zum Beispiel die Einrichtung eines behördenweiten Prozessmanagements sein.
Sind sowohl die strategischen als auch die operativen Maßnahmen einmal in der Organisation verteilt und eingebettet, ist der Maßnahmenplan ein bewährtes Instrument, um die Umsetzung zu begleiten und zu steuern.
Die Hausleitung ist daran interessiert, ob und wann die Ziele erreicht werden, ob das Haus bei der Umsetzung auf dem Weg ist und ob es Hindernisse oder Probleme gibt. Sollte es Probleme geben, benötigt die Hausleitung einen Lösungsvorschlag in Form einer Entscheidungsvorlage:
Werden mehr Ressourcen benötigt?
Muss der Zeitplan angepasst werden?
Müssen die Ziele angepasst werden?
Der Maßnahmenplan zeigt auf, welche konkreten Aktivitäten „step by step“ erforderlich sind, um ein bestimmtes Umsetzungsziel zu erreichen. Jeder erfolgreiche Abschluss einer Aktivität steigert unmittelbar den Erreichungsgrad des zugehörigen Umsetzungsziels.
Priorisierung von Maßnahmen
Am Ende kann eine Strategie nur erfolgreich umsetzt werden, wenn auch die erforderlichen Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Die definierten Maßnahmen können daher in der Regel nicht alle gleichzeitig umgesetzt werden und bedürfen einer Priorisierung. Außerdem führen natürlich auch logische Abhängigkeiten einzelner Maßnahmen zueinander zum Festlegen einer Chronologie.
So könnten bspw. im Einjahresturnus neue Maßnahmen definiert und diese in die Umsetzung durch Mitarbeitende aus dem Bereich gegeben werden. Nach Abschluss des Jahres werden die Ergebnisse zur Umsetzung vorgestellt und gleichzeitig die nächsten Maßnahmen definiert, um so ein stetiges Vorankommen zu gewährleisten. Es ist empfehlenswert, den Maßnahmenplan als gesondertes Dokument zu führen, da dieser in der Regel öfter zu ändern sein wird als die Strategie.
Zur konkreten Verknüpfung abgeleiteter Ziele oder Maßnahmen aus der Strategie mit operativen Zielen kann die OKR-Methode angewandt werden.
Verantwortlich für die Definition der Maßnahme ist in der Regel das strategische Leitungsgremium mit Unterstützung der einzelnen jeweils verantwortlichen Bereiche des Hauses[15].
Ein fortlaufendes Controlling stellt durch ein vernünftiges Reporting und entsprechende Auswertung dann bspw. quartalsweise sicher, dass die Maßnahmen auch entsprechend wirken.
Fußnoten
[8] Leitfaden: Einfluss von Politik auf die strategische Steuerung öffentlicher Behörden, Herausgeber: Arbeitskreis Steuerung und Controlling in öffentlichen Institutionen, S. 51, 2011/2012
[9] Eine Möglichkeit, die Sichtweisen / Bewertungen verschiedener Hierarchieebenen zu den relevanten Faktoren einzubeziehen, ist die Durchführung einer EFQM- oder CAF-Bewertung im Rahmen des Qualitätsmanagements.
[10] Gourmelon et al., 2020, S. 433
[11] Vgl. BRH, Querschnittsprüfung zur Aufgabenkritik in der Bundesverwaltung, Dezember 2016, S. 9
[12] In der Abkürzung SMART haben sich zum Buchstaben „a“ inzwischen in der Literatur und im Sprachgebrauch unterschiedliche Auslegungen etabliert: „attraktiv“, aber auch „aktivierend“, „akzeptiert“ oder „ausführbar“.
[13] Jedes Ziel sollte grundsätzlich unmittelbar auf ein Grundsatzziel einzahlen, Ausnahme bilden auch hier Ziele aus agilen Ansätzen.
[14] Vgl. Arbeitshilfe (PDF-Download, als Handlungsempfehlung und zur Unterstützung): Leitfaden zur Zielentwicklung, Version 1.0, Oktober 2020
[15] Hierbei können beispielsweise die „Maßnahmencanvas“ des Digibaukastens unterstützen, um Maßnahmen vorzustrukturieren, zu diskutieren und zu kommunizieren.