2.3.4 Prozessmerkmale erheben und dokumentieren
Artikel Organisationshandbuch
Eine vollständige Prozessdokumentation[15] umfasst insgesamt
- die eigentliche Ablaufdarstellung vom Input zum Output (vgl. Abschnitt 2.3.5),
- die Prozessmerkmale (z. B. Prozessbeteiligte, Ressourcenverbrauch, IT-Unterstützung, genutzte Medien wie Formulare, angewendete interne Regelungen, Referenz zur ausgeführten gesetzlichen Vorschrift).
Dazu gehören:
- Abläufe hinsichtlich einer gleichbleibenden Qualität überwachen,
- ein einheitliches Verwaltungshandeln sicherstellen,
- Optimierungserfordernisse erkennen und umsetzen, z. B. Kosten, Service, Qualität,
- eine prozessbezogene Personalbedarfsermittlung (PBE) ermöglichen,
- prozessbezogene Konsequenzen personeller Veränderungen einschätzen, z. B.: Wie wirkt sich der Abzug von Personal auf Bearbeitungszeiten, Fehlerquoten usw. aus?,
- Wissen dokumentieren, insbesondere vor dem Hintergrund des zunehmenden Ausscheidens erfahrener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
- die Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen erleichtern, besonders dann, wenn eine Arbeitsplatzübergabe nicht erfolgen konnte,
- Auswirkungen neuer Anforderungen durch Gesetze und sonstige Regelungen gezielt für die eigene Behörde einschätzen können (z. B. Auswirkungen auf Arbeitsabläufe, betroffenes Personal, betroffene IT),
- Sicherheit für die Prozessbeteiligten bei der Aufgabenerledigung bieten,
- prozessbezogene Risiken identifizieren und analysieren.
Die systematische Prozessdokumentation bietet vielfältige Analysemöglichkeiten, etwa zu Prozessinput und Prozessoutput, eingesetzten Ressourcen, internen und externen Schnittstellen sowie zu den eingesetzten IT-Unterstützungen[16]. Die Prozessmerkmale benennen die für einen Prozess eingesetzten Ressourcen sowie verschiedene Instrumente, mit denen der Prozess gesteuert wird. Ohne genaue Kenntnisse aller relevanten Informationen zu einem Prozess ist eine Schwachstellen- und Risikoanalyse und anschließende Optimierung der Prozesse nicht möglich (vgl. Abschnitt 2.3.3 Prozesse identifizieren und priorisieren).
Für eine systematische Erfassung der Prozessmerkmale gibt es verschiedene Arbeitsmittel und Checklisten.[17] Nachfolgend werden die Erhebung und Dokumentation der Prozessmerkmale anhand der Turtle-Methode erläutert. Sie ist besonders gut geeignet, weil mit ihr alle relevanten Informationen zu einem Prozess übersichtlich und einheitlich strukturiert auf einer Seite dargestellt werden können. Alternativ ist es auch möglich, diese Dokumentation in textlicher Form, etwa als Prozesssteckbrief anzulegen. Dieser enthält zusätzlich eine grobe Beschreibung des Ablaufs (vgl. Abschnitt 2.3.5 Prozessablauf erheben und dokumentieren).
Bei der Turtle-Methode gibt die Turtle (Schildkröte) die Grobgliederung für die Prozessmerkmale vor (vgl. Abbildung 6). In Kopf und Schwanz werden Input zum Output des Prozesses eingetragen (vgl. Abschnitt 2.3.3 "Prozesse identifizieren und abgrenzen"). In der Mitte des Panzers steht die Prozessbezeichnung mit dem dahinter liegenden Ablauf (die Erhebung des Prozessablaufs wird in Abschnitt "2.3.5 Prozessablauf erheben und dokumentieren" dargestellt). In den Beinen werden schließlich die Ressourcen und Steuerungsinstrumente abgebildet. Hier hat es sich bewährt, mit den W-Fragen zu arbeiten und diese mehr oder weniger detailliert zu beantworten und zu dokumentieren.
Die wichtigsten Fragen sind:
1. Wer ist am Prozess beteiligt?
Hier sollten zwischen Mitgliedern des Prozessteams, Prozessverantwortlichen und ggf. weiteren Rollen unterschieden werden.
2. Wo ist der Prozess aufbauorganisatorisch angesiedelt?
Des Weiteren können hier Standorte oder auch andere Organisationen, wie z. B. Dienstleistungszentren, vermerkt werden.
3. Womit läuft der Prozess ab?
Diese Frage beantwortet, welche Ressourcen für den Prozess zur Verfügung stehen. Dazu gehören Arbeitsmittel (z. B. Formulare), die genutzten Programme (z. B. Fachverfahren) und die eingesetzten Personalressourcen. Wichtige Ressourcen sind darüber hinaus die Kompetenzen und Qualifikationen der Prozessbeteiligten.
4. Wie läuft der Prozess ab?
Wie der Prozess im Einzelnen abläuft, ist in der Ablaufdarstellung beschrieben. Zum "Wie" gehören aber auch alle Informationen zum Prozess, z. B. die gesetzlichen Grundlagen, Gerichtsurteile, Arbeitsanweisungen, Checklisten usw.
5. Wozu und wie gut läuft der Prozess ab?
Hier werden die Prozessziele benannt und – soweit vorhanden – die definierten Kennzahlen für die Erfolgsmessung des Prozesses eingetragen. Prozesskennzahlen beziehen sich typischerweise auf Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten sowie Fehlerquoten. Möglicherweise liegen Ziele und Kennzahlen noch nicht für alle relevanten Prozesse vor, so dass hier bereits ein erster Optimierungsbedarf erkennbar wird.
Alle zu einem Prozess gesammelten Informationen werden in der Turtle-Grafik stichwortartig zusammengefasst. Bei Bedarf können die einzelnen Stichpunkte in einem ergänzenden Dokument detaillierter beschrieben werden. Je nach Zweck oder Analyse-Schwerpunkt kann die Turtle-Grafik unterschiedlich detailliert ausgestaltet werden. In der anschließenden Analyse werden je nach Erkenntnisinteresse alle oder nur ausgewählte Aspekte (Merkmale) berücksichtigt, z. B. Personal oder IT.
verweist auf: Abbildung 6: Turtle
Abbildung 6: Dokumentation der Prozessmerkmale anhand einer Turtle-Grafik
Die Darstellung der Prozessmerkmale sollte auch für Personen außerhalb des Prozesses leicht verständlich und nachvollziehbar sein, da die Prozessdokumentation insgesamt für vielfältige Steuerungszwecke genutzt werden sollte. Nur wenn die Dokumentation für unterschiedliche Adressatinnen und Adressaten geeignet ist, regelmäßig gepflegt wird und allen relevanten Stellen innerhalb der Organisation bekannt ist, entfaltet sie einen Nutzen, der den Dokumentations- und Pflegeaufwand rechtfertigt.
Fußnote
[15] Ausführliche Informationen zur Prozessdokumentation finden sich im "Leitfaden für die Dokumentation und Analyse von Geschäftsprozessen", Bundesverwaltungsamt, Kompetenzzentrum Prozessmanagement, 2015, Seite 3 ff.
[16] Vgl. ebd., S. 58.
[17] Arbeitshilfen, Konventionen, Leitfäden und Checklisten des Kompetenzzentrums Prozessmanagement im BVA